Konsole der 1000 Gefahren [1000 Gefahren: Du entscheidest selbst] (Fabian Lenk)

(1) Schreibt man einen Text über ein Buch der »1.000 Gefahren«-Reihe, liegt es nahe, den Text wie ein solches Buch zu strukturieren. Ein kurzer Absatz Texterei, zwei oder mehr Entscheidungsmöglichkeiten, weitere Textereien und am Ende hat man ein Formulierungskonstrukt mit vielen, unterschiedlichen Enden und einem einigermaßen hohen Unterhaltungswert. Klingt doch eigentlich ganz gut. Oder?

  • Kann man machen. (2)
  • Nein. Das ist total gewollt und so naheliegend, dass man das auf gar keinen Fall machen sollte. (3)

(2) Muss man aber nicht. (3)

(3) Lebensfreude wird ganz allgemein gesprochen überbewertet. Genauso wie Videospiele. Und damit will ich gar nichts gegen Videospiele sagen. Also nicht mehr als gegen alle anderen Medien auf der Welt. Videospiele werden genauso überbewertet wie Filme und Bücher und all der andere Kram, den Leute nutzen, um sich unterhalten zu lassen. Da es Menschen gibt, die meine Texte eher nebenbei lesen, muss ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass zwischen »sich unterhalten lassen« und »sich unterhalten« unterschieden werden muss, da Münder ganz in Ordnung sind. Aber ich glaube, ihr wisst, worauf ich hinaus will. Oh nein, jetzt klingelt auch noch mein Telefon. Soll ich drangehen?

  • Nein, das ist unhöflich. (4)
  • Klar, vielleicht ist es ja jemand oder etwas Wichtiges. (5)

(4) Ich will aber. (5)

(5) Da das nun folgende Telefonat nie stattgefunden hat, muss ich darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um eine wörtliche Wiedergabe des Gesagten handelt, schließlich wäre dies unmöglich.

»Hallo?«
»Guten Tag.«
»Und Sie sind?«
»Die Kunstkeule.«
»Woher haben Sie diese Nummer?«
»Von einer falsch angeklickten Cookierichtlinie auf einer ominösen Internetseite, die Sie letzte Woche Mittwoch besucht haben.«
»Ich habe sofort gespürt, dass da etwas nicht in Ordnung war. Was kann ich für Sie tun, bevor ich Sie höflich abwimmel?«
»Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass Videospiele mehr sind, als ein bloßes Mittel, um sich unterhalten zu lassen. Videospiele haben Kunstanspruch.«
»Und?«
»Sie haben gerade behauptet, Videospiele wären nur dazu da, sich unterhalten zu lassen.«
»Zumindest Sie unterhalten mich gerade hervorragend.«
»Das ist nicht meine Absicht.«
»Sind Sie etwa Kunst?«
»Nein, die Kunstkeule.«
»Und Sie fühlen sich ungerecht behandelt?«
»Nein, die Videospiele.«
»Aber ich habe sie doch mit allen anderen Medien auf eine Stufe gestellt und daraufhin die ganze Stufe abgesägt und in die Tiefen eines unheimlichen Kellergewölbes abstürzen lassen, dessen einziger Bezug zur Kunst der Kunstrasen ist, der dort ausgerollt wurde, und bei dem jetzt auf einmal niemand mehr zu wissen scheint, warum das überhaupt gemacht wurde. Das ist meiner Meinung nach eigentlich ziemlich fair.«
»Nicht für die Stufe.«
»Irgendwas ist ja immer.«
»Stimmen Sie zu, dass Videospiele Kunst sind?«
»Ich stelle sie künstlerisch auf die gleiche Stufe wie die abgesägte Stufe.«
»Alles kann Kunst sein.«
»Vor allem, wenn man sich dadurch erwachsen vorkommt und das Ausleben des eigenen Spieltriebs vor anderen Leuten und auch sich selbst rechtfertigen kann.«
»Ich bin nicht erwachsen. Ich bin eine Keule. Ich bin entwachsen. Und zwar einem Baum.«
»Handwerklich sind Sie sicherlich eine Augenweide.«
»Genug der Schmeicheleien. Ich wollte Sie lediglich darauf hinweisen, dass Videospiele genauso wie Literatur…«
»Darum schreibe ich hier ja gerade über beides.«
»Aber…«
»Sie sind eine ganz wunderbare Keule. Ich bedanke mich für Ihren Anruf, aber ich muss jetzt meinen Text weiterschreiben.«
»Hören Sie mir…«
»Jetzt regen Sie sich doch nicht so gekünstelt auf. Ich bitte Sie einigermaßen höflich darum, alle meine Daten aus Ihrem System zu löschen, damit ich Sie nicht mit rechtlichen Schritten langweilen muss, so wie Sie es gerade mit Ihrer Kunstdebatte tun.«
»Das ist ja…«
»… mein gutes Recht. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Rufen Sie mich bitte nie wieder an.«

An dieser Stelle hätte ich aufgelegt, wenn dieses Gespräch wirklich stattgefunden hätte.

  • Kann dieser Text bitte enden? (6)
  • Was ist denn jetzt mit diesem Buch, über das Du schreiben wolltest? (7)

(6) Nein. Ich wollte doch noch über ein Buch schreiben. (8)

(7) Ach ja. (8)

(8) Ich habe als Kind nie eine Spielekonsole besessen. Also so eine für den Fernseher. Ich hatte einen Gameboy und war damit zufrieden. Klar, wenn mir jemand eine Konsole geschenkt hätte, hätte ich sie selbstverständlich angenommen, aber mir fehlte als Kind das Geld, mir eine anzuschaffen, und meine Eltern hatten keine Lust, mir so ein Gerät zu schenken. Das war aber auch vollkommen in Ordnung. Meine Freunde hatten zum Glück Konsolen, weshalb ich sie immer wieder besuchte, also die Konsolen, äh, nein, die Freunde. Vielleicht war das der Plan meiner Eltern gewesen: »Schenk dem bloß keine Konsole, dann besucht der nie wieder andere Menschen.«

Obwohl ich mich über eine Konsole gefreut hätte, hätte ich nicht alles getan, um an eine solche zu kommen. Beispielsweise hätte ich nicht für den in einem heruntergekommenen Videospieleladen arbeitenden Kerl einen merkwürdigen Koffer zu einem mindestens genauso merkwürdigen Kerl transportiert. Ich hätte schon damals gewusst, dass eine solche Angelegenheit nicht gut enden und mir nichts als Stress einbringen wird. Ich wäre auch nicht in irgendein Auto eingestiegen, nur um mir daraufhin eine Straßenschlacht mit anderen Videospielenden zu liefern, bei der wir mit echter Munition aufeinander schießen und uns hin und wieder sogar in die Luft sprengen. Gut, ich habe selbstverständlich nichts dagegen, »Gamer« in die Luft zu sprengen, aber das ist nicht der Punkt, auf den ich hinauswill.

Der Punkt ist: Ich war schon immer extrem langweilig und faul und wäre nur für eine Videospielkonsole nicht über meinen eigenen Schatten gesprungen. Stattdessen war ich gerade in der Küche und habe mir vier saure Gurken aus dem sauren saure-Gurken-Gurkenwasser im saure-Gurken-Gurkenglas gefischt, um währenddessen darüber nachzudenken, wie ich diesen Text zu einem vernünftigen Ende bringen kann. Denn ganz ehrlich: Was soll man bitte über ein Spielbuch oder Choose-your-own-adventure-Buch oder Abenteuerbuch oder Wie-auch-immer-ihr-es-nun-nennen-möchtet-Buch schreiben?

  • Stell dich nicht so an. (9)
  • Stell dich nicht nicht so an. (10)

(9) Ich stelle mich an, wie und wo ich will. Das hier ist eine Literaturbesprechung, keine Supermarktkasse. (11)

(10) Stimmt schon, ich hätte hier noch deutlich mehr rumheulen können. Es geht ja auch irgendwie um Videospiele und was bietet sich da mehr an, als grenzenloses Rumgeflenne? (11)

(11) Also, ziehen wir es durch: Das Buch ist wie ein Videospiel, in dem man Entscheidungen trifft, mit denen man entweder leben oder wegen dieser sterben muss. Es hat über vierzig Enden. Das weiß ich, weil ich eine Komplettlösung angefertigt habe, um am Ende sicher zu sein, jede Entscheidung und jedes Resultat gelesen zu haben. Ich mag die »1.000 Gefahren«-Bücher gerade wegen dieser Vielfalt. Die Geschichte kann jederzeit enden, es gibt viele Richtungen, in die man sich bewegen kann und am Ende schaut man immer auf das Wort »ENDE« und kann darüber nachdenken, einen neuen Weg einzuschlagen. Wäre das Buch ein Videospiel, würde man es als »Visual Novel« bezeichnen und den Kunstbegriff neu definieren, als Buch ist es dem Videospiel in dieser Hinsicht zum Glück überlegen, da es aus Papier besteht und sich nicht nur besser, sondern sich einfach überhaupt irgendwie anfühlt. Die Geschichte an sich ist übrigens kompletter Unsinn, egal wofür man sich entscheidet, was es zu einem guten Buch macht. Ich weiß nicht, ob der Autor schon einmal ein Videospiel gespielt hat, denn häufig liest sich das Ganze wie die Vorstellung eines Menschen, der keine Ahnung von Videospielen hat, sich aber ausmalt, wie es wäre, »in die virtuelle Welt abzutauen und den Cyberspace unsicher zu machen«. Wie in diesen Filmen mit der »virtuellen Welt in der ja alles so echt ist«! Naja. Kein Grund zur Aufregung. Nicht noch ein Unterhaltungsmedium in diesen Text zerren. Man darf nicht vergessen, was dieses Buch sein will.

Und eigentlich war das schon alles.

  • Und dafür jetzt so viele Worte? (12)
  • Und dafür jetzt so viele Wörter? (13)
  • Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich direkt bis zum Ende des Textes gescrollt habe. (14)
  • Ist Papier wirklich so gut? (15)
  • Waren die Gurken lecker? (16)
  • Kann ich die Komplettlösung sehen? (17)

(12) Ja. ENDE.

(13) Ja. ENDE.

(14) Ja. ENDE.

(15) Ja. ENDE.

(16) Ja. ENDE.

(17) Ja.

ENDE.

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